OWL/Herford. „Eine bewegte Geschichte liegt hinter uns“, erklärt Birgit Reiche, „die immer wieder zeigt, dass „das Gottesgeschenk“ politisch und gesellschaftlich tabuisiert wird.“ Die heutige Leitende Pfarrerin der Evangelische Frauenhilfe in Westfalen (EFHiW) leitet seit 2011 die Prostituiertenberatungsstelle THEODORA. Diese ist zuständig für die Region Ostwestfalen-Lippe (OWL). Sie spielt damit zum einen auf den Namen der Beratungsstelle an: Der Name THEODORA bezieht sich auf die byzantinische Kaiserin (497-548 nach Christus), die selbst im „Rotlichtmilieu“ ihrer Zeit aufwuchs und sich als Kaiserin für die Rechte von Prostituierten einsetzte. Die deutsche Übersetzung für den Namen THEODORA lautet „Gottesgeschenk“.

Zum anderen weist die Leiterin auf die problematische Finanzierung der Beratungsstelle hin. Dabei wurde schon im Jahr 2006 in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter Federführung der EFHiW und unter Beteiligung von Fachleuten von Polizei, Gesundheitsämtern, Gleichstellungsstellen und Beratungsstellen die Konzeption für eine Prostituierten- und Ausstiegsberatung für die Region OWL erstellt und begrüßt. Nach mehreren vergeblichen Antragstellungen bei den Kommunen und den Ministerien auf Landes- und Bundesebene finanzierte die Westfälische Frauenhilfe 2010 den Beginn der Prostituierten- und Ausstiegsberatung mit einer nicht refinanzierten halben Personalstelle. Von 2011 bis 2014 konnte eine anteilige Projektfinanzierung von AKTION MENSCH, 2015 eine Projektförderung des ‚Ministeriums für Arbeit, Soziales und Integration des Landes NRW‘ aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, 2016 bis Sommer 2022 Projektförderungen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) die Beratungsstelle mit absichern. „Die politischen Gespräche mit den Kommunen in OWL zur Weiterfinanzierung sind seit längerem aufgenommen worden. So besteht die Hoffnung, dass die wichtige Arbeit auch über das Projektende hinaus fortgesetzt werden kann“, erläutert Birgit Reiche.

Erschwerte Bedingungen für die Beratungsarbeit

Kein Gewerbe sei so umstritten, wie das der Prostitution, weiß Reiche. Den Klient*innen zu helfen, ein gesundes, selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben in Sicherheit zu führen, ist das Ziel der Sozialarbeit. Dazu ist auch die Beendigung von Diskriminierung und Kriminalisierung der Prostituierten nötig. „Gleichwertigkeit und Gleichbehandlung lauten die Forderungen, die trotz vieler Gesetzesänderungen noch nicht verwirklicht sind. Das war besonders an den Corona-Maßnahmen für diese Berufsgruppe zu bemerken“, fasst Reiche die aktuelle Situation zusammen.

Das 2017 in Kraft getretene Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) mit Einführung einer Erlaubnispflicht für alle Prostitutionsgewerbe und einer Anmeldebescheinigung für Prostituierte führte zu Veränderungen in der Beratungsarbeit und im Gewerbe ebenso wie die Corona-Schutzverordnungen seit 2020. Aufsuchende Arbeit wie auch Beratungen wurden dadurch erschwert.

Die Frauen werden in die Illegalität gedrängt bzw. verbleiben dort und sind auch für Beratungsangebote sehr viel schwerer erreichbar. Die behördliche Zwangsregistrierung, die Schließung von Kleinbetrieben aufgrund gesetzlicher Vorgaben erschweren anonymes und geschütztes Arbeiten sowie sichere und preisgünstige Arbeitsmöglichkeiten.

„Insbesondere die Schließung der Prostitutionsstätten in der Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass sich einige Bundestagsabgeordnete gegen die Rechtslage der Prostitution in Deutschland ausgesprochen haben“, stellt Reiche fest. Die EFHiW hat sich bereits vor Jahren gegen ein Sexkaufverbot ausgesprochen, weil Menschenhandel nicht verhindert und die Situation von Sexarbeiter*innen nicht verbessert wird, sondern sie viktimisiert und weiteren Gefahren aussetzt werden. „Es ist außerdem zu befürchten, dass Sexarbeiterinnen in Dunkelbereiche gedrängt und im Verborgenen arbeiten werden“, meint Birgit Reiche.