Stuttgart. „Dass sich die Wirtschaft Baden-Württembergs trotz größter Einschränkungen in den letzten Monaten insgesamt positiv entwickeln konnte, liegt vor allem an den hochgradig exportorientierten Industrieunternehmen, die hierzulande stärker vertreten sind als in vielen anderen Regionen Deutschlands“, sagt BWIHK-Präsident Wolfgang Grenke. Während ganze Branchen monatelang vom Lockdown betroffen waren und noch betroffen sind, erweisen sich Industrieunternehmen und industrienahe Dienstleister im Südwesten auch in der Corona-Krise als Treiber der konjunkturellen Erholung. Das zeigen die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK), an der sich im April dieses Jahres mehr als 3.700 Unternehmen aller Branchen, Unternehmensgrößen und Regionen im Südwesten beteiligt haben.

Demnach ist der Anteil der Unternehmen, die ihre aktuelle Lage gut bewerten, von einem Drittel zu Jahresbeginn auf aktuell 40 Prozent gestiegen. Schlecht geht es 21 Prozent der Betriebe, ein Rückgang um vier Prozentpunkte.

Industrie auf Erfolgskurs

Die Südwestindustrie befindet sich, insbesondere getragen von der sich rasch belebenden Nachfrage aus ihren erstarkenden Märkten in China und den Vereinigten Staaten, in einem anhaltenden Aufwind. 44 Prozent der Industrieunternehmen melden derzeit gut laufende Geschäfte. Sie ziehen in zunehmendem Maße große Teile des Großhandels (46 Prozent), des Güterverkehrs (28 Prozent) und der wirtschaftsnahen Dienstleister (44 Prozent) mit. Die Bauwirtschaft erweist sich dank einer weiter steigenden Wohnungsbaunachfrage weitestgehend unbeeindruckt von der Pandemie auf hohem Niveau als stabil. Hier bezeichnen sogar 56 Prozent ihre aktuelle Situation als gut.

Handel, HoGa, Tourismus und Kreative hoffen auf verlässliche Öffnungsperspektiven

Die unter dem Lockdown besonders leidenden Branchen bleiben hingegen vorerst skeptisch, hoffen jedoch auf die nunmehr von der Landesregierung beschlossenen konkreten Öffnungsschritte. „Endlich geht es los. Handel, Gastgewerbe, Tourismusbranche und all die Kreativen freuen sich auf ihre Kunden“, sagt BWIHK-Vizepräsidentin Marjoke Breuning.

Was die Freude über den Restart etwas trübt, das ist die Menge an Bürokratie, die damit weiter verbunden bleibt und die rein inzidenzbasierte Herangehensweise. „Mehr Planbarkeit und mehr Vereinheitlichung bei den Vorgaben wären aus unserer Sicht sinnvoll und notwendig, um die Öffnungen für Betriebe praktikabel und für Kunden nachvollziehbar zu machen“, so Breuning.

Lockdown-Branchen weiter in schwieriger Lage

In einer guten wirtschaftlichen Situation befinden sich laut Umfrage bei den persönlichen Dienstleistungen nur elf Prozent der Betriebe, im Personenverkehr vier Prozent, im Einzelhandel mit Bekleidung, Schuhen und Textilien lediglich knapp zwei Prozent. Im Hotel- und Gaststättengewerbe geht es keinem Betrieb gut, 95 jedoch schlecht. In diesen Branchen ist der Anteil der Betriebe mit problematischer Finanzlage überdurchschnittlich hoch. 43 Prozent der Hotels und Gaststätten bewerten ihre aktuelle Finanzlage als schlecht, 28 Prozent als existenzgefährdend. Bei den persönlichen Diensten tun dies 27 bzw. 19 Prozent. Gesamtwirtschaftlich meldet jedes zehnte Unternehmen eine schlechte, gut drei Prozent eine existenzgefährdende Finanzlage. Die Umsätze der am meisten leidenden Unternehmen befinden sich im Keller, Verluste türmen sich auf, das Eigenkapital schmilzt. Die Lage bleibt für diese Unternehmen prekär, nicht wenige stehen vor dem Aus.

Wirtschaft weiterhin zweigeteilt

An der Zweiteilung der konjunkturellen Entwicklung wird sich in den nächsten Monaten nicht viel ändern – die Zuversicht in den sich rasch erholenden Wirtschaftszweigen steigt. Zunehmend kräftigere Impulse aus Asien, vor allem aus China, aus Nordamerika aber auch aus der EU wird die Erholung vorantreiben. Aber auch die sich allmählich wiederbelebenden Inlandsinvestitionen, insbesondere in der Industrie, tragen auf noch niedrigem Niveau zu einer positiven Entwicklung der Inlandsnachfrage bei. Erstmals seit dem Ausbruch der Pandemie wollen wieder mehr Betriebe ihre Investitionsausgaben erhöhen (30 Prozent) als verringern (22 Prozent). Die Investitionspläne bleiben jedoch angesichts der anhaltenden Risiken von Vorsicht geprägt.

Erst wenn aufgrund der zunehmenden Durchimfpung der Bevölkerung und dauerhaft abnehmender Infektionszahlen permanente Lockerungen möglich werden, die den derzeit noch von Schließungen und harten Beschränkungen betroffenen Branchen wieder mehr wirtschaftliche Aktivität erlauben, wird sich die Stimmung in diesen Wirtschaftszweigen nachhaltig verbessern. Erst dann wird sich die Spaltung des Wirtschaftsgeschehens allmählich wieder auflösen. Damit ist in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen.

Vorerst bremst der Lockdown die Erholung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität. Die Pandemie bleibt mit einem Anteil von 71 Prozent das am häufigsten genannte Geschäftsrisiko. Die Nachfrageentwicklung hat dagegen an Bedeutung verloren. Aufgrund von Lieferengpässen und der weltweit wieder steigenden Produktion sowie kräftig steigenden Rohstoffpreisen hat sich die Zahl der Unternehmen, denen diese Entwicklung Sorgen bereitet, auf über 33 Prozent seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt.

Langer Weg der Erholung steht bevor

Die mehrfache Verlängerung des Dezember-Lockdowns wird die Rückkehr zur Normalität jedoch weiter verzögern. Zu Beginn des Jahres gingen noch 53 Prozent der Unternehmen davon aus, spätestens bis zum Jahresende ihr Vorkrisenniveau zu erreichen. Aktuell tun das nur noch 36 Prozent der Betriebe. Drei von zehn Unternehmen rechnen inzwischen mit einer Rückkehr zur Normalität im Jahr 2022, gut neun Prozent befürchten, dass es noch länger dauern wird.

Zuversichtlich blicken 34 Prozent der Unternehmen nach vorn, 47 Prozent gehen von einer gleichbleibenden Entwicklung aus, gut 18 Prozent senken weiterhin ihren Daumen. Die betrieblichen Personalpläne haben sich nur leicht verbessert und deuten – abgesehen von den saisonüblichen Schwankungen – auf eine in etwa gleichbleibende Beschäftigungsentwicklung hin.

Pandemie hinterlässt Spuren bei Beschäftigung und Ausbildung

Die betrieblichen Personalpläne in den Unternehmen des Landes haben sich nur leicht verbessert und deuten – abgesehen von den saisonüblichen Schwankungen – auf eine in etwa gleichbleibende Beschäftigungsentwicklung hin. Laut Umfrage wollen 18 Prozent der Befragten ihr Personal aufstocken (Jahresbeginn: 14 Prozent), 22 Prozent müssen Stellen abbauen (Jahresbeginn: 27 Prozent). Deutlich schlechter ist die Lage am Ausbildungsmarkt. Bei den Neueintragungen für den Start im Herbst registrieren die Kammern im Land zum Anfang Mai etwa 14.700 Ausbildungsverträge. Da sind knapp 10 Prozent weniger als vor einem Jahr. Die IHKs tun alles, was in ihren Kräften steht, Betriebe bei der Ausbildung zu unterstützen. Sie sichern Prüfungen, organisieren virtuelle Bewerbungsgespräche, zum Beispiel Online-Speed-Datings, und kümmern sich um virtuelle Angebote für die Berufsorientierung, wie zum Beispiel das Elterncafé.

Aufgrund der Situation in den Schulen und das Wegbrechen des Präsenzunterrichts fehlt es an Angeboten zur Berufsorientierung. Die Betriebe erhalten deutlich weniger und teilweise gar keine Bewerbungen auf ihre Ausbildungsangebote.

Die Kammern appellieren daher an die jungen Menschen, die Zeit nicht untätig verstreichen zu lassen. „Ein Blick in die IHK-Lehrstellenbörse lohnt sich. Aktuell sind die Chancen, eine gute Lehrstelle zu bekommen, ausgezeichnet“, sagt Grenke. Ausbildungsplätze gebe es zwar insgesamt weniger, aber im Verhältnis zur Zahl derjenigen, die die Schulen verlassen, ausreichend viele und in großer Bandbreite.