Stuttgart. „Die Industrie und die industrienahen Dienstleister in Baden-Württemberg bewerten die Standortfaktoren Deutschlands mit Blick auf die Wettbe-werbsfähigkeit im internationalen Vergleich als Schulnote ausgedrückt nur noch mit „ausreichend plus““, sagt Wolfgang Grenke, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK) und der in Industriefragen federführenden IHK Karlsruhe. Diese Bewertung zeigt die Stimmung noch vor der Corona-Krise. Dadurch sind Bewertungen aktueller Konjunkturprogramme oder Digitalisierungsmaß-nahmen u. a. bei Verwaltungsprozessen nicht enthalten.

„Sorgenkind in Baden-Württemberg bleibt die Breitbandanbindung, deren Bewertung einen sehr deutlichen negativen Trend aufweist und aktuell nur noch die Note „vier minus“ erhält. Erreicht die Bewertung in 2008 noch einen TOP-Wert von 2,3, reicht es in 2020 nur noch für eine 4,3. Kein anderer Standortfaktor hat so stark eingebüßt. BWIHK-Präsident Grenke betont, „Für Industrie 4.0 und Digitalisierung müssen die strukturellen Rahmenbedingungen stimmen. Der Ausbau der IT-Infrastruktur hinkt offensichtlich den Anforderungen der Betriebe hinterher. Der Breitbandausbau, vorzugsweise mit Glasfaser, muss deshalb in Baden-Württemberg weiter zügig vorangebracht werden. Nur so können die Coronabedingten Impulse zur Digitalisierung in den Betrieben und auch von Verwaltungsprozessen positiv genutzt werden.“

Die Industrie mit einem Anteil von fast einem Drittel an der Wertschöpfung ist Antreiber und Impulsgeber der Wirtschaft in Baden-Württemberg und verfügt über ein funktionierendes Netzwerk mit Zulieferern und Dienstleistern. Daher ist es so wichtig, die Rahmenbedingungen für die Industrie auch im Sinne eines Krisenmanagements spürbar zu verbessern.
Die Industrie und industrienahe Dienstleister werden durch die Industrie- und Handelskammern nach ihrer Beurteilung der Perspektiven am Standort Deutschland im 3-Jahres-Rythmus befragt. Die aktuelle Befragung fand Mitte Februar bis Mitte März 2020 in ganz Deutschland statt und zeigt überwiegend eine Standortbewertung aus vor-Corona-Zeiten. Bundesweit haben rund 1800 Unternehmen teilgenommen, 104 Antworten aus Baden-Württemberg liegen vor. Die Bundesergebnisse sind durch den Deutschen Industrie- und Handelskammertag DIHK am 22.06.2020 veröffentlicht worden.

In der detaillierten Betrachtung einzelner Standortfaktoren zeigt sich, dass in Baden-Württemberg diejenigen Standortfaktoren schlechte Noten erhalten, die im weiteren Sinne in Verbindung mit Regulierung und Bürokratie zu sehen sind. Dazu gehören die Fülle und Verständlichkeit von bürokratischen Auflagen mit der Note 4,9, die Dauer und Komplexität von Planungs- und Genehmigungsverfahren mit der Note 4,8, das Steuer-recht mit der Note 4,7, die Höhe der Steuern und Abgaben mit der Note 4,5 und die Ef-fizienz der Behörden mit der Note 4,5.

Trotz aller Kritikpunkte gibt es auch Faktoren, die die Industrieunternehmen in Baden-Württemberg am Wirtschaftsstandort schätzen. Im Land punkten können insbesondere die Standortfaktoren Verfügbarkeit von Zulieferunternehmen/Dienstleistern vor Ort (Note 2,4), Qualifikation von Fachkräften und Verfügbarkeit von Rohstoffen (beide Note 2,6) sowie die Energieversorgungssicherheit (Note 2,7).

Bei den geplanten Aktivitäten der Unternehmen in Baden-Württemberg selbst verwundert es nicht, dass Maßnahmen zur Digitalisierung und Industrie 4.0 vielfach stärker ergriffen werden als bisher, um innovativer und wettbewerbsfähiger zu werden. Weiter finden sich die Kooperation mit Kunden und anderen Akteuren sowie die Mitarbeiterqualifikation ganz vorn.

„Um das Potenzial des Industriestandorts Deutschland besser zu nutzen und die gesamte Wirtschaft aus der Corona-Krise zu führen, muss die Politik die industriellen Standortfaktoren stärken, regional und national. Wichtig ist ebenso eine höhere Akzeptanz für den Industriestandort – insbesondere für den notwendigen Aus- und Umbau der Infrastruktur, aber auch für Produktion und neue Technologien allgemein. Auch die Grundstoffindustrie muss mit Blick auf die Energiekosten erhalten bleiben, denn integrierte Wertschöpfungsketten sind als Wettbewerbsvorteil nicht zu unterschätzen“, fasst Grenke zusammen.