-Kinder-Lungenfacharzt rät dringend zu frühzeitiger Behandlung-

Bielefeld/Hannover. Jedes vierte Kind in Deutschland leidet an einer Allergie. Aktuell haben über eine Million Kinder und Jugendliche Heuschnupfen (zehn Prozent) und über eine halbe Million Asthma (fünf Prozent). Tendenz steigend. Der Bielefelder Allergologe und Lungenfacharzt Professor Dr. med. Eckard Hamelmann warnt: „Je früher Kinder Heuschnupfen bekommen, desto stärker wächst ihr Risiko für den sogenannten Etagenwechsel zum Asthma. Bei Jungen bis sechs Jahre um das 3,6-fache, bei gleichaltrigen Mädchen um das 2,3-fache. Deswegen ist es besonders wichtig, früh kausale Therapien einzusetzen.“

Der Arzt und Wissenschaftler ist Chefarzt im Kinderzentrum im Evangelischem Klinikum Bethel in Bielefeld. Er kennt sich aus mit dem Leidensweg junger Allergie-Patienten. Er rät deren Eltern: „Allergien nicht auf die leichte Schulter nehmen. Zeigen sich erste Allergie-Symptome, sollte umgehend eine zielgerichtete Diagnostik und idealerweise auch kausale Behandlung beginnen, um die Allergie-Karriere möglichst frühzeitig zu stoppen.“ Hamelmann ist Erster Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) und Mitautor des jüngst neu aufgelegten „Weißbuch Allergie in Deutschland“. Das umfassende Werk liefert profunde Erkenntnisse zum aktuellen Forschungsstand der Allergologie.

Die genaue Identifikation der Allergene, also der an sich harmlosen Substanzen, die bei Allergikern heftige Symptome auslösen, ist Voraussetzung für eine kausale Behandlung. Nur so lässt sich die Verschlimmerung bis hin zum allergischen Asthma verhindern. „Heuschnupfen ist nicht trivial. Er mindert die Lebensqualität der Kinder massiv und führt zu Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit, reduzierter Lernfähigkeit und damit schulischen Problemen“, so Professor Hamelmann.

Alarmierend: Fast jeder zweite Jugendliche ist bereits allergisch sensibilisiert. Das bedeutet, das Immunsystem ist durch einen Erstkontakt mit zum Beispiel Pollen, Milbenkot oder Nahrungsmitteln in Alarmbereitschaft versetzt und kann bei erneutem Kontakt mit demselben Allergen die typischen Symptome an Haut, Atemwegen, Magen-Darmtrakt oder im schlimmsten Fall auch Herz-Kreislaufsystem zeigen. Oft verbreiten sich die Symptome und weitere Organe werden betroffen, Allergologen sprechen in diesem Zusammenhang vom „allergischen Marsch“. Dabei kommt erschwerend hinzu: Der Pollenflug dauert im Jahresverlauf europaweit etwa zwei Wochen länger als noch vor 30 Jahren und die Pollenmenge steigt ebenfalls dramatisch an. So erreichte der Erlenpollenflug nach Auskunft der Berliner Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst Ende Februar “historische Rekordwerte.” Jetzt sind die hoch-allergenen Birken- und Eschenpollen auf ihrer Hochzeitsreise – mit gefährlichen Folgen gerade für junge Allergiker.

„Wenn wir uns vor Augen führen, dass die Allergieforschung in den vergangenen Jahren einen gewaltigen Erkenntniszuwachs erlangt hat und sehr viele der kleinen Patienten in Deutschland gar keine oder keine angemessene Behandlung erhalten, ist dies nicht nur aus ärztlicher Sicht unverantwortlich“, mahnt Hamelmann. Immerhin übersteigt die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit allergischem Asthma – eine häufige Folgeerkrankung des Heuschnupfens – hierzulande die Zahl der Verkehrstoten.

Ehrenamtlich engagiert sich Hamelmann unter anderem als Schatzmeister für die Deutsche AllergieLiga e.V., Hannover. Diese noch junge Institution will das Wissen um die spezifischen Behandlungsmöglichkeiten allergischer Erkrankungen bekannter und mehr Patienten zugänglich machen. Aktuell ist die auch Allergie-Impfung genannt Hyposensibilisierung die einzige Möglichkeit einer kausalen Behandlung. Sie ist auch für Kinder ab fünf Jahren zugelassen und geeignet. Ziel hierbei ist, das Immunsystem zunehmend an das Allergen zu gewöhnen, auf das es sonst mit gefährlichen Symptomen reagiert. Hierfür erhalten die Patienten geringe Mengen des für sie spezifischen Allergens über einen längeren Zeitraum in steigender Dosierung in Form von Tabletten, Tropfen oder Injektionen. Ist die individuelle Höchstdosis erreicht, wird diese über einen längeren Zeitraum – Ziel sind drei Jahre – weiterhin verabreicht. Auf diese Weise soll das Immunsystem an die Allergene, die bisher zu den heftigen Abwehrreaktionen geführt haben, gewöhnt werden. Bisher erhalten aber noch nicht mal zehn Prozent der betroffenen Kinder diese wirkungsvolle Behandlung, die von den Krankenkassen bezahlt wird, so Professor Hamelmann.

„Kinder mit ihrem jungen Immunsystem sprechen auf die Spezifische Immuntherapie besonders gut an. Schon nach einem Jahr nehmen die quälenden Symptome spürbar ab, und das Asthma-Risiko nach erfolgreicher „Hypo“ vermindert sich deutlich“, so der Allergie-Experte. Erste Ansprechpartner für die Einleitung dieser Therapie sind Kinderärzte mit allergologischer Kompetenz bzw. Zusatzweiterbildung.

Über die Deutsche Allergie-Liga e.V.: Die AllergieLiga e.V. (DAL) will die Menschen in Deutschland für das frühzeitige Erkennen von allergischen Erkrankungen und deren rationale Diagnostik und nachhaltige Behandlung sensibilisieren. Des Weiteren setzt sie sich auch für Patientenschulungen und eine Übernahme der Kosten für Anti-Allergika durch die Krankenkassen ein. Ihre Arbeitsgrundlage ist das “Weißbuch Allergie in Deutschland”. Das umfassende Werk beschreibt den aktuellen Forschungsstand der Allergologie in Deutschland. Die DAL ist eine Initiative des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (AeDA) und der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI).

Weißbuch Allergie in Deutschland: Springer Medizin Verlag GmbH, überarbeitete und erweiterte Auflage. ISBN 978-3-89935-312-9, ISBN 978-3-89935-313-6 (eBook), Preis: 39,99 Euro.

Foto: Deutsche AllergieLiga e.V.